Karlsruher Technik-Initiative

Conclusio: 

Die Exportquote Deutschlands liegt bei weit über 50% - so ist das Florieren der deutschen Wirtschaft von Produkten abhängig die von deutschen Ingenieuren und Informatikern entwickelt und von Facharbeitern gebaut werden. Aktuelle Studien zeigen jedoch: Die frühe Berührung mit Technik durch Konstruktionsspielzeug, Reparaturen im Haushalt oder Modelleisenbahnen in der Kindheit nimmt signifikant ab - wie kann diesem Trend entgegengewirkt werden?

Spielerische Auseinandersetzung mit Technik, technische Herausforderungen und kontinuierliche Technikbildung – drei Anforderungen, die geradezu nach einer schul­begleitenden Initiative rufen. Zwar gibt es bereits zahlreiche MINT-Initiativen, die „Technik punktuell als interessant und herausfordernd“ erscheinen lassen; vielen mangelt es aber an einer engen Anbindung an die Schule und einem kontinuierlichen Verlauf.
 
So entstand die Idee, an Karlsruher Schulen (zunächst Gymnasien) Technik-AGs zu initiieren bzw. bestehende Robotik- oder Informatik-AGs zu Technik-AGs auszubauen, in denen Schülerinnen und Schüler in kleinen Teams spannende technische Aufgaben­stellungen in von Notendruck freien Projektarbeiten bewältigen.

Lesen Sie mehr zur Karlsruher Technik-Initiative in nachfolgendem Artikel aus der elften Ausgabe des VKSI-Magazins.

Artikel aus dem VKSI Magazin #11 (Zur Online Ausgabe >>)

1. Hintergrund:

Das Verhältnis der Werte aller Exportgüter zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – die Exportquote – liegt in Deutschland inzwischen bei weit über 50%. Dieser Wert macht deutlich, wovon der Wohlstand unseres Landes abhängt: von Produkten, die von deutschen Ingenieuren und Informatikern entwickelt und von Facharbeitern gebaut werden – und sich im weltweiten Wettbewerb durchsetzen können. Der hohen Qualität dieser technischen Produkte und der daraus resultierenden weltweiten Nachfrage verdanken wir unseren wirtschaftlichen Erfolg.

Die Aufrechterhaltung dieses Vorsprungs wird angesichts der Entwicklungssprünge anderer Staaten (vor allem Indiens und Chinas) und des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland zukünftig zur Herausforderung. Denn der Nachwuchs bleibt aus: Während in den kommenden Jahren in Deutschland jährlich zwischen 3 und 8% der aktiven Ingenieure aus dem Arbeitsleben ausscheiden (mit steigender Tendenz), ist die Zahl der Absolventen von Ingenieurfächern in Deutschland im europaweiten Vergleich unterdurchschnittlich (Abb. 1).

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Abb. 1: MINT-Ersatzquote: Absolventen auf 1.000 Erwerbstätige (2011)
(Quelle: MINT-Frühjahrsreport 2014, Institut der Deutschen Wirtschaft, 5/2014)

Bei genauer Betrachtung sind zwei Ursachen dieser bedenklichen Entwicklung offensichtlich: Zu wenige junge Frauen entscheiden sich für ein Ingenieurstudium (2012: 9%), und viele Studenten brechen ihr Ingenieurstudium ohne Abschluss ab (2012: 35%) – offenbar beginnen nicht wenige ihr Studium mit falschen Vorstellungen oder unzureichenden Grundkenntnissen.

Daher wird es immer wichtiger, bei Kindern und Jugendlichen mit technischer Begabung Begeisterung für technische Fächer (Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik) zu wecken und ihnen schon früh ein Grundverständnis für technische Zusammenhänge zu vermitteln. Technische Talente müssen früh entdeckt und die Fähigkeit zur eigenständigen Entwicklung von Problemlösungen gefördert werden.

Mehrere Studien weisen jedoch darauf hin, dass die Entwicklung genau in die entgegen­gesetzte Richtung geht. Die frühe Berührung mit Technik durch Konstruktionsspielzeug, Reparaturen im Haushalt oder Modelleisenbahnen in der Kindheit nimmt signifikant ab:

„Die klassische Motivation über Bau- bzw. Experimentierkästen und Modellbahnen, aber auch das Erkunden und Reparieren von technischen Gegenständen (im Haushalt) ist kaum noch bei den heutigen Jugendlichen vorzufinden. (…) Ein Zeitalter der über Generationen erfolgreichen mechanischen, spielerischen Aneignung von Technik geht zu Ende.“
(Aus: Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften, acatech 2009)

Die Schule kompensiert diese Entwicklung offenbar nicht. Im Gegenteil: Nach den Ursachen des Nichtverstehens technischer Zusammenhänge gefragt, bemängelten 2009 in einer acatech-Studie über 40% der befragten Schülerinnen und Schüler das Fehlen praktischer Beispiele im Unterricht. Knapp 30% der befragten Schülerinnen gaben an, den Sinn und den Gesamtzusammenhang nicht zu verstehen (Abb. 2).

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Abb. 2: Ursachen für das Nichtverstehen technischer Zusammenhänge im Schulunterricht
(Aus: Ziefle/Jakobs, Wege zur Technikfaszination, 2009)

Obwohl in Baden-Württemberg mit der Einführung des Fachs „Naturwissenschaft und Technik“ (NWT) der Umfang von MINT-Themen in Gymnasien ausgeweitet wurde, lässt sich auf diesem Weg die unzureichende Technikfaszination junger Menschen nur unzureichend kompensieren.

Zwar ist bekannt, welche Faktoren wesentlich zur Weckung von Technikfaszination beitragen – allerdings lassen die sich offenbar nur schwer im klassischen Schulunterricht umsetzen:

„Damit ergeben sich drei wichtige Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Interesse an Technik zu entwickeln und die eigenen Begabungen zu einem technischem Beruf zu entdecken: Zum ersten eine frühe Begegnung und spielerische Auseinandersetzung mit Technik, zum zweiten einzelne Schlüsselerlebnisse, in denen Technik punktuell als interessant und herausfordernd erlebt wird (…) und zum dritten kontinuierliche, didaktisch gut aufbereitete Technikbildung (…).“
(Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften, acatech 2009)

2. Technik-AGs:

Spielerische Auseinandersetzung mit Technik, technische Herausforderungen und kontinuierliche Technikbildung – drei Anforderungen, die geradezu nach einer schul­begleitenden Initiative rufen. Zwar gibt es bereits zahlreiche MINT-Initiativen, die „Technik punktuell als interessant und herausfordernd“ erscheinen lassen; vielen mangelt es aber an einer engen Anbindung an die Schule und einem kontinuierlichen Verlauf.

So entstand die Idee, an Karlsruher Schulen (zunächst Gymnasien) Technik-AGs zu initiieren bzw. bestehende Robotik- oder Informatik-AGs zu Technik-AGs auszubauen, in denen Schülerinnen und Schüler in kleinen Teams spannende technische Aufgaben­stellungen in von Notendruck freien Projektarbeiten bewältigen.

Ziel dieser Technik-AGs ist es, den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern auf spielerische Art und Weise durch die Eigenentwicklung von technischen Funktionsmodellen

  • elementare Kenntnisse der Mechanik, Elektromechanik, Elektronik, Optik und Informatik zu vermitteln,
  • physikalische Phänomene und darauf basierende technische Entwicklungen (bspw. Dampfmaschine, Elektromotor) zu veranschaulichen und
  • sie in die Konstruktion und Programmierung der Mechatronik und angewandten Informatik (Roboter, automatische Steuerungen, Nachrichtenübermittlung) einzuführen.

Abhängig von Interesse, Neigung und Vorkenntnissen sollen die Schülerinnen und Schüler dabei zwischen unterschiedlichen Themen und Schwierigkeitsgraden wählen und vor allem auch eigene Projektideen verfolgen können. Begleitend sollen die Dokumentation der Modellentwicklung (Aufgabenstellung, Lösungsweg, ggf. Rechenwege zur Analyse der Lösungsansätze, Fotos und CAD-Entwürfe der Modelle) und die Präsentation (in Vorträgen, auf Ausstellungen) geübt werden.

Durch die Teilnahme an MINT-Wettbewerben (z. B. dem jährlichen RoboCupJunior) und die Präsentation der Arbeitsergebnisse, bspw. im Physikunterricht oder auf Schulveranstal­tungen und in kleinen Filmen, sollen insbesondere für technisch begabte und engagierte Schülerinnen und Schüler ein zusätzlicher Ansporn zur Mitwirkung geschaffen werden. Im Laufe der Zeit sollen außerdem Lehrmaterialien (Aufgabenstellungen mit Musterlösungen, Funktionsmodelle für den NWT- oder Physikunterricht etc.) entwickelt werden, die sich auch für den Einsatz im regulären Schulunterricht eignen.

3. Beste Ergebnisse

Auf der Grundlage dieses Konzepts wird seit November 2013 am Karlsruher Bismarck-Gymnasium eine fischertechnik-AG angeboten. Die Wahl fiel auf fischertechnik als Konstruktionsmaterial, da fischertechnik ein durchgängiges und ausgereiftes technisches Baukastensystem darstellt, das im Vergleich mit anderen Systemen insbesondere durch seine Vielseitigkeit (Pneumatik, Statik, Mechanik, Elektronik, Optik, Computing) hervorsticht.

Mit der Verwendung dieses einheitlichen Baukastensystems verkürzt sich zudem die Einarbeitungszeit für die Konstruktion unterschiedlicher Modelle und Aufgabenstellungen. Auch sinkt der Materialbedarf, da bei allen Aufgaben dieselben Grundelemente (Bausteine und Statik-Elemente) eingesetzt werden können.

Mit Unterstützung eines Sponsors und des Fördervereins der Schule wurde die AG mit einer großen Menge an Baukästen ausgestattet. Die Betreuung der ca. 20 Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 8, die für die fischertechnik-AG begeistert werden konnten, übernahmen Schülermentoren aus den Klassen 9 und 10. In kleinen Lerneinheiten zu Beginn der AG-Treffen werden einfache technische Konzepte (Schaltgetriebe, Kupplung, Differential, Endlagenschaltungen, Regler, …) vorgestellt; anschließend arbeiteten die Schülerinnen und Schüler an ihren selbstgewählten Aufgabenstellungen.

So entstanden nach einer Einarbeitungszeit, in der die Schülerinnen und Schüler das fischertechnik-System kennenlernten, ein FreeFallTower (mit Wirbelstrombremse), eine „Tischtennisballweitergabemaschine“ aus mechanischen und elektronisch gesteuerten Einzelmodulen und ein Roboter, mit dem ein vierköpfiges Schüler-Team im Februar 2014 – offenbar als erstes Karlsruher Schul-Team überhaupt – am Qualifikationsturnier des RoboCupJunior in Mannheim teilnahm (Abb. 3).

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Abb. 3: Rescue-Roboter des RoboCup-Teams

Die Projektergebnisse wurden von den Schülerinnen und Schülern auf mehreren Schulveranstaltungen und zwei großen fischertechnik-Ausstellungen präsentiert. Die Modelle der Schülerinnen und Schüler und die für die technischen Einführungen entwickelten Funktionsmodelle wurden in einem Wiki dokumentiert (http://www.fischertechnik-ag.de).

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Abb. 4: Free-Fall-Tower-Projekt der
fischertechnik-AG am Bismarck-Gymnasium

4.  Karlsruhe Technik-Initiative 

Anfang Oktober 2014 hatte die fischertechnik-AG die Gelegenheit, das AG-Konzept und die Ergebnisse Lehrkräften anderer Karlsruher Gymnasien vorzustellen. Um weitere Schulen für das Konzept zu gewinnen, wurde unter dem Dach der Schülerakademie Karlsruhe ein „Karlsruher Schul-Robotik-Cup“ initiiert, in dem – erstmalig am 13.06.2015 – Teams aus Karlsruher Schulen in zwei Robotik-Disziplinen gegeneinander antreten werden. Schirmherr und Preisstifter dieses Wettbewerbs ist die fischertechnik GmbH.

Der Lions-Club Karlsruhe-Turmberg hat nun die Erstausstattung von vier Technik-AGs an Karlsruher Gymnasien mit 3.500 € finanziert – je nach Präferenz der Lehrkräfte mit fischertechnik, Lego Technik oder Robotik-Bausätzen; die Karlsruher Michelin Reifenwerke AG & Co. KGaA statten die Technik-AG des St. Dominikus-Gymnasiums aus.

Gesucht werden noch bis zu vier Sponsoren, die den „Robotik-Rennställen“ weiterer Karlsruher Gymnasien mit einer Anschub-Finanzierung bei der Materialausstattung helfen – und vielleicht sogar gelegentlich einen „Monteur“ vorbeischicken, der den Teams bei der Roboter-Entwicklung mit Tipps und Tricks zur Seite steht.

Falls diese Technik-AGs sich einer ebenso großen und begeisterten Nachfrage erfreuen wie die fischertechnik-AG des Bismarck-Gymnasiums, soll im kommenden Jahr darüber nachgedacht werden, die Initiative mit einem methodisch angepassten Konzept auf Karlsruher Grundschulen auszuweiten.

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